Requiem in Theresienstadt
Zur Beschreibung dieses Ereignisses erlauben wir uns, einen Teil des Interviews mit Herrn Murry Sidlin anzuführen, das für das Projekt holocaust.cz stattgefunden hatte: „Als Rafael Schächter inhaftiert wurde, hat er einen Chor von 150 Freiwilligen zusammengestellt, mit denen er nach dem Gedächtnis Verdis Requiem einstudierte. Das Stück wurde sechzehnmal aufgeführt. Diesen Abschnitt habe ich vielleicht hundertmal gelesen, weil ich ihn nicht verstehen konnte. Diese Komposition ist sehr anspruchsvoll selbst unter den besten Bedingungen, mit Menschen, die gesund sind, eigene Partituren und genug Zeit haben. Und er hatte schwache und hungrige Menschen, die noch dazu im Verlauf der Proben deportiert wurden, und er musste anfangen, wieder mit neuen Sängern zu proben. Sie verfügten über eine einzige Partitur und es wurde lateinisch gesungen… Ebenfalls war mir unklar, warum die jüdischen Gefangene ausgerechnet das Requiem gesungen haben - ein so tief in der katholischen Liturgie verwurzeltes Werk? Auch im Ghetto regte sich Widerstand dagegen, es gefiel weder den Rabbis, noch dem Jüdischen Rat. Warum also? Dann habe ich mir überlegt, dass es vielleicht etwas mit dem Text zu tun hat. Wenn man katholisch ist, ist die Bedeutung der Worte klar; aber wenn man Jude und Gefangener im Ghetto ist, liest man die Wörter anders - und das war es, denke ich, was Schächter versuchte auszudrücken, dass er im Requiem den Ausdruck des Widerstandes und der Aufsässigkeit gesehen hatte. Das ist wichtig. Er solle gesagt haben, dass er das, was er den Deutschen nicht auf Deutsch ins Gesicht sagen kann, auf Lateinisch singen wolle.“
Autor: Alice Marxová, www. holocaust.cz |
Rafael Schächter mit den Worten von Murry Sidlin
„Rafael Schächter wurde in Rumänien geboren und kam in die Tschechische Republik, um in Prag Oper zu studieren. Er fing an als Korrepetitor von Opernsängern, war ein hervorragender Pianist und begann sich sukzessive auch als Operndirigent durchzusetzen. Dann kamen die Nazis und er musste Musikunterricht geben, um überhaupt zu überleben. Hätte sich die Situation anders entwickelt, bin ich mir ganz sicher, dass er ein berühmter Dirigent geworden wäre. Alle Zeitzeugen waren sich darüber einig, dass er ein sehr inspirativer, herzlicher, impulsiver, offener Mann war, der die Menschen stets mit einem Lächeln auf den Lippen unterrichtete (...) Er gab den Menschen in Theresienstadt den Sinn des Lebens, er gab ihnen die Hoffnung, auch wenn sie abends zu den Proben kamen und dabei wortwörtlich die Toten überschreiten mussten. Marianka Zadikowová (Zeitzeugin) sagte, dass sie sich den ganzen Tag auf den Abend gefreut hatte, wenn sie wieder proben wird, und dass sie den ganzen Tag im Geiste ihren Part gesungen hatte. Bei Verdi habe sich Schächter sehr verändert, er arbeitete wie besessen, hatte jemand während der Probe beispielsweise nur geflüstert, habe er ihn gleich angeschrien. Das Requiem bedeutete für ihn bestimmt etwas ganz anderes, als die früher im Ghetto einstudierten Stücke.“
Autor: Alice Marxová, www. holocaust.cz |